Dunning-Kruger-Effekt: Von Ego, Scheinwissen und Selbstüberschätzung
Menschen mit Dunning-Kruger-Syndrom überbewerten die eigene Leistung. Welche Folgen hat das Syndrom und wie geht man mit dem Dunning-Kruger-Effekt um? Was steckt dahinter? Warum erkennen Betroffene ohne fremde Hilfe das Syndrom kaum selbst? Und wie geht man mit Menschen um, die ihre eigenen Kompetenzen überschätzen.

Wir alle stoßen im Leben ab und an auf Menschen, die eine verzerrte Selbstwahrnehmung haben. Dabei ist es normal, die eigene Leistung und Stellung in der Gesellschaft oder in einer Gruppe anders zu bewerten, als es die anderen tun – bis zu einem gewissen Punkt zumindest. Mit einem analytischen Blick auf unseren Alltag fallen viele Gebiete auf, in denen überzeugte Experten und selbst erkorene Gurus davon ausgehen, dass sie die Wahrheit gepachtet haben. Gespräche über Fußball oder andere Sportarten, die Art, wie man Auto fährt oder Kirschkuchen zubereitet: Diskussionen über Alltagswissen offenbaren viele Kandidaten, die aufgrund einer überzogenen Selbsteinschätzung von dem Dunning-Kruger-Effekt betroffen sein könnten.
Manchmal ist das nervig, manchmal sogar erheiternd, wenn Personen grundlegendes Wissen als Basis dafür bewerten, sich selbst als Experten wahrzunehmen. Und vielleicht geht es den Betroffenen im Privatleben mit dem eigenen Ego so ganz gut. Doch spätestens im Unternehmen und in der Teamarbeit bringt der Dunning-Kruger-Effekt Gefahren für den Erfolg von Projekten mit sich. Geht es um Expertenwissen, können diese Hochstapler manchmal schwer entlarvt werden.
Dunning-Kruger-Effekt im Privat- und Berufsleben
Sie kennen den Satz “Ich weiß, dass ich nichts weiß”? Damit sind Sie noch lange kein Philosoph oder einer der führenden Denker in ihrem sozialen Umfeld. Der Spruch aus Platons Apologie, der übrigens auf Sokrates zurückzuführen und so einfach falsch übersetzt ist, lautet eigentlich: “Ich als nichtwissender weiß” oder “Ich weiß, dass ich nicht weiß” und zielt auf die Suche nach Erkenntnis und erkennen von Scheinwissen ab. Ist dieser auch schon ein möglicher Zugang zur Bedeutung des später benannten Dunning-Kruger-Effekts.
Was ist der Dunning-Kruger-Effekt?
Der Dunning-Kruger-Effekt lässt sich für einen Überblick so definieren: Der Unwissende weiß nicht, dass er (etwas) nicht weiß und inkompetente Personen können auch nicht erfahren, dass sie nicht kompetent sind. Der Dunning-Kruger-Effekt bzw. das Dunning-Kruger-Syndrom entstammen den Untersuchungen von Justin Kruger and David Dunning aus dem Jahr 1999 mit dem Titel “Unskilled and Unaware of It: How Difficulties in Recognizing One's Own Incompetence Lead to Inflated Self-Assessments“, hier verfügbar als PDF.
In verschiedenen Untersuchungen kommen Dunning und Kruger zum Schluss, dass Menschen, die von einem limitierten Wissen geplagt sind, unter einer doppelten Belastung leiden: Zum einen plagt Betroffene die falsche Erkenntnis und zum anderen auch, dass sie diese selbst nicht erkennen. Das Gegenteil des Dunning-Kruger-Effekts ist übrigens das sogenannte Hochstaplersyndrom (auch Imposter-Syndrom).
Dunning-Kruger kann sich je nach Person unterschiedlich äußern. Interessante Beispiele aus der Untersuchung, die Dunning-Kruger zu Ihrem Schluss verhalfen:
Beeinträchtigung nicht erkennen können oder wollen
Experimente aus der Neurologie zur Anosognosie verweisen darauf, dass Menschen mit Schädigungen der rechten Gehirnhälfte, die dadurch auf der linken Körperhälfte gelähmt sind, diesen Schaden selbst nicht erkennen oder nicht dazu stehen.
Wurden sie vom Arzt dazu aufgefordert, ein Glas mit der linken Hand aufzunehmen, schienen sie davon verblüfft, es nicht tun zu können. Auf Rückfrage dazu, warum sie es nicht könnten, bedienten sich Betroffene zudem häufig Ausreden: “Ich bin zu müde”.
Scheinwissen vortäuschen
In weiteren Untersuchungen wurden Personen befragt, wie gut sie sich mit verschiedenen wissenschaftlichen Themen auskennen würden. Neben real existierenden Themen waren auch erfundene Fachgebiete Teil bei der Umfrage.
Erschreckendes Ergebnis war, dass laut Dunning-Kruger etwa 40 Prozent der Befragten vorgaben, in den erfundenen Themengebieten aussagekräftig und informiert zu sein.
Wie bedeutend ist der Dunning-Kruger-Effekt für den Alltag?
In der Wissenschaft wurde der Dunning-Kruger-Effekt als Erkenntnis gespalten aufgenommen. So erhielten Dunning und Kruger am 05. Oktober 2000 den “Ig Nobel Prize”, eine Parodie auf den echten Nobel Preis, der triviale Erkenntnis in der Wissenschaft auszeichnen soll. Der Dunning-Kruger-Effekt war als Grundlage für weitere Untersuchungen selbst Ziel von versuchen, diesen zu widerlegen.
Im Jahr 2019 kamen beispielsweise verschiedene Wissenschaftler in “Paired Measures of Competence and Confidence Illuminate Impacts of Privilege on College Students Impacts of Privilege on College Students“ zu einem gegensätzlichen Ergebnis:
Die untersuchten Gruppen an Universitäten seien überraschend gut in der Lage, ihre kognitiven Fähigkeiten einzuschätzen und können von der Hilfe, dies zu lernen, profitieren.
Frauen seien darüber hinaus besser in der Lage, ihre eigenen Fähigkeiten realistisch zu bewerten. Doch leiden sie unter den festen Geschlechterrollen und Vorurteilen, welche Männern mit einer gewissen “geistigen Brillanz” assoziieren und Minderheiten schlechter bewerten – auch wenn es absolut nicht gerechtfertigt ist. Auch diese Untersuchung ist als PDF verfügbar.
Wie umgehen mit Dunning-Kruger-Effekt?
Personen krampfhaft vorzuwerfen, dass diese unter dem Dunning-Kruger-Effekt leiden, kann unter Umständen bedeuten, dass man selbst von gewissen psychologischen Problemen geplagt wird oder sich zumindest gern über andere hinwegsetzen möchte.
Personen mit Dunning-Kruger können:
- Im Privatleben wirklich nerven: Wenn sich Streitgespräche um sinnlose Punkte drehen oder eine Person, die wirklich über Wissen verfügt, einstecken muss, weil eine unwissende Person einfach viel selbstsicherer ist.
- Sich selbst blamieren: Wenn Menschen sich für Spezialisten halten und in einer Gruppe von Personen, die sich wirklich mit einer Thematik auskennen, mit Halbwissen oder Unwissen glänzen.
- Bei Prüfungen aufgrund der falschen Selbsteinschätzung schlechter abschneiden und sogar durchfallen.
- Damit schlechtes Licht auf ein Unternehmen werfen: Wenn Menschen mit starker geistiger Fehleinschätzung die Firma repräsentieren, kann dies schlecht für das Image sein. Betroffen sind Falschaussagen gegenüber Kunden, Lieferanten oder anderen Geschäftspartnern, die das Unternehmen viel Geld kosten können.
Wie gehen Manager mit Dunning-Kruger-Syndrom der Mitarbeiter um?
Im Prinzip ist es in unserer Gesellschaft eher gut, ein hohes Selbstbewusstsein zu haben. Manager können auf Mitarbeiter, die unter dem Dunning-Kruger-Effekt leiden, mit realistischen Einschätzungen und der Möglichkeit reagieren, dem Halbwissen entgegenzuwirken und etwas dazuzulernen.
Auf Mitarbeiter mit Dunning-Kruger und falsche Selbsteinschätzung reagieren:
- Widerlegen Sie Falschaussagen deutlich! Verweisen Sie bei Falschaussagen auf die Wahrheit und deuten an, wie tief das mögliche Wissen verwurzelt ist und welche Quellen sich fürs Lernen und Recherchieren eignen.
- Stellen Sie betroffene Personen nicht bloß. Suchen Sie lieber das klärende Privatgespräch.
- Motivieren Sie diese Personen, in wichtigen Fachgebieten mehr zu lernen und vorhandenes Wissen zu vertiefen.
- Reagieren Sie entschlossen, wenn durch das Handeln Schäden für das Unternehmen entstehen könnten.
Wenn ein Mitarbeiter denkt, er sei der Gott der Analyse aller Sportarten oder Spezialist in Fragen von Heimgarten und Terrasse, kann dies im Pausenraum für gute Laune sorgen und angeregte Konversationen begünstigen. Mutige Thesen können Gespräche anfeuern und das Interesse von Personen binden. Wenn Manager und Verantwortliche dafür sorgen, dass diese Person keine schädigenden Falschaussagen trifft und das Fachwissen, auf das es im Unternehmen ankommt, gut beherrscht, dann kann dies für Unternehmen sogar ein Vorteil sein.
Vorsicht bei der Selbsteinschätzung und Bewertung anderer
Ob Dunning-Kruger mit Ihrer Untersuchung nun hochgradig wichtige Erkenntnis für die Entwicklung der Menschen gefunden haben, wird von Wissenschaftlern angefochten. Fragen der Erkenntnis und der falschen Erkenntnis beschäftigen Denker immer wieder. Hat nun der recht, der mehr weiß? Oder ist es eher wie Einstein sagte: “Je mehr ich weiß, desto mehr erkenne ich, dass ich nichts weiß.” In einem gesunden Lernumfeld kann Menschen dabei geholfen werden, sich selbst realistisch einzuschätzen. Und auch die Bewertung anderer kann anhand klar definierter Kriterien ein Erfolg sein und über Schwächen der Bewertenden helfen. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass eine gewisse Form der Fehleinschätzung immer präsent ist. Nur wer versucht, eigene Erkenntnis wirklich zu hinterfragen und versucht, immer mehr zum Thema zu lernen und sich weiterzubilden, kann zu einem Spezialisten auf einem Gebiet werden.
Bei Personen mit Dunning-Kruger-Syndrom in Unternehmen kommt es darauf an, dass diese kein geschäftsschädigendes Verhalten zeigen und andere nicht krampfhaft unterordnen wollen. Sofern die Übertreibung keine negativen Folgen für das Unternehmensklima hat und ein Lernfortschritt der Betroffenen festgestellt wird, gibt es keine Bedenken.